Jubiläumsschleife für Sachsens Edelhelfer
Der gebürtige Zschopauer Marcus Burghardt nimmt seine zehnte Tour in Angriff. Schon in der Vorbereitung machte der Radprofi einen seiner größten Förderer glücklich.
VON THOMAS PRENZEL
SAMERBERG - Am Dienstag musste Marcus Burghardt in seiner Wahlheimat Samerberg bei Rosenheim das tun, was er gar nicht gerne macht, ihm aber immer wieder nicht erspart bleibt: sich von seiner Familie verabschieden. Der Radprofi ist fast das ganze Jahr rund um den Erdball unterwegs. Rund 30.000 Kilometer absolviert der gebürtige Zschopauer pro Saison im Rennsattel. Wenn alles gut geht, kommen bis zum 29. Juli 3329 Kilometer durch Frankreich dazu. Dann könnte der Erzgebirger, der vergangenen Samstag bei den Meisterschaften in Einhausen seinen 35. Geburtstag feierte, das zehnte Mal auf die Pariser Champs-Élysées einbiegen. „Dann werden mich meine zwei Töchter und meine Frau in Empfang nehmen. Für mich ist das Tour-Jubiläum etwas ganz Besonderes. Davon hätte ich als Bub, als ich in Venusberg bei Klaus Fischer mit Radsport begonnen habe, nicht zu träumen gewagt“, schwärmt der Profi.
Burghardt wird in Paris nach strapaziösen drei Wochen wohl nochmal zwei, drei Kilo weniger auf den Rippen haben, als der 1,89 Meter lange Schlaks ohnehin nur hat. Die eiserne Disziplin braucht es in dem Mannschaftssport, in dem der Sachse seit vielen Jahren zuverlässig Helferdienste verrichtet. Spätestens 2011, als er dem Australier Cadel Evans in Diensten des Rennstalls BMC zum Tour-de-France-Sieg verhalf, steht Burghardt hoch im Kurs bei den Rennställen, die ihren Kapitänen die bestmöglichen Wasserträger zur Seite stellen. „Ich habe damit kein Problem, denn nur so gewinnst du was im Radsport. Preisgelder werden nach Siegen im Team aufgeteilt, und der Kapitän muss die Verantwortung für das Ergebnis tragen“, beschreibt Burghardt das Prinzip.
Bei seinem aktuellen Arbeitgeber Bora-hansgrohe hat er ab Samstag die klare Aufgabe, Weltmeister Peter Sagan aus dem Wind zu halten oder den zweiten Kapitän, Rafal Majka, mit Wasserflaschen und Proviant zu unterstützen. Der Pole soll im Gesamtklassement möglichst unter die besten fünf fahren. Für Bora kann es bei der Tour diesmal fast nur besser laufen als im Vorjahr. Sagan hatte im Zielsprint der 4. Etappe Kollege Mark Cavendish angerempelt. Der Brite stürzte, der Slowake musste die Tour disqualifiziert verlassen. Burghardt nimmt seinen Teamkollegen in Schutz: „Klar wird bei den Sprints mit Ellbogen gefahren. Peter ist aber kein unfairer Sportsmann.“
2018 soll es besser klappen. Wie hart es im Geschäft zugeht, zeigt schon die Nominierung. Das Feld der Tour wurde dieses Jahr wegen der zuletzt vielen Stürze von neun auf acht Fahrer pro Team reduziert. Der beste deutsche Kletterer, Emanuel Buchmann, fehlt im Bora-Aufgebot. Das allerdings sicher nicht nur wegen der beschränkten Quote. Der Ravensburger kann den weltbesten Bergziegen wie Froome, Richie Porte (BMC), Romain Bardet (AG2R), Vincenzo Nibali (Bahrain-Merida) oder Nairo Quintana (Movistar) noch nicht Paroli bieten. Deshalb soll der 25-Jährige mit frischen Kräften ab 25. August bei der Spanien-Rundfahrt glänzen. Was aus Marketingsicht seines Rennstalls vielleicht noch nachvollziehbar ist, bedeutet sportlich einen Rückschlag. Denn nirgendwo lässt sich mehr lernen als im dreiwöchigen Wettstreit mit den besten Radprofis der Welt.
Marcus Burghardt nennt jedenfalls den Tour-Etappensieg 2008 in St.-Etienne als seinen größten Erfolg, den folgenden Karriereschub inbegriffen. Zudem hält er einen inoffiziellen Rekord: 2016 wurde er in einer Abfahrt auf der 9. Etappe mit der höchsten Geschwindigkeit (130,7 km/h), die je bei einer Tour de France gefahren wurde, gemessen. Populär machte ihn auch ein Ausweichmanöver, das einem Hund vermutlich das Leben rettete und sich als Videoclip großer Beliebtheit erfreute.
Falls die Rennsituation es zulässt und Burghardt freie Hand erhält, will er auch dieses Jahr seine Chance suchen. Die 9. Etappe nach Roubaix mit 22 Kilometern Kopfsteinpflaster sowie die erste Alpenetappe zwei Tage später könnten ihm liegen. Sein früherer Übungsleiter Klaus Fischer hätte übrigens an einem guten Ergebnis seinen Anteil. Im zweiten Tour-Höhentrainingslager in Livigno (Italien) hatte sich Burghardt in den vergangenen zwei Wochen „den besten Radsporttrainer der Welt“ an seine Seite geholt. „Es sollte auch ein Dankeschön an ihn sein, dass er mich die letzten 14 Tage im Trikot des Deutschen Meisters betreuen durfte“, sagt der Radprofi. Und der 67-jährige Trainer, Vereinschef, Mechaniker und Seelenmasseur beim RSV Venusberg berichtete von einer guten Form seines Schützlings: „Vor allem bergab bin ich mit dem Auto kaum hinterhergekommen.“ Nur zu schade, dass es bei der Tour auch ab und an bergauf geht ...
Bildtext: Marcus Burghardt ist bei dieser Tour der einzige deutsche Profi im Team Borahansgrohe. FOTO: ROTH/AUGENKLICK