Ein bärenstarker Anfahrer
Radsportler Felix Groß besitzt beste Chancen, bei den Sommerspielen in Tokio im deutschen Bahnvierer zu starten. Der Leipziger, der dem RSV Venusberg angehört, hat zudem auch auf der Straße ehrgeizige Ziele.
VON MARTINA MARTIN
CHEMNITZ - Seit einem Jahr ist er der stärkste Bahnrad-Verfolger Deutschlands. Bei der Heim-WM in Berlin raste Felix Groß über 4000 Meter zu einem nationalen Rekord und belegte damit im Kreis der Weltelite den fünften Rang. Das kleine Finale um Bronze hatte er nur knapp verpasst. Zudem besaß er als Anfahrer des Vierers einen Riesenanteil daran, dass im Velodrom die letzten notwendigen Punkte für die Olympiaqualifikation erkämpft wurden. „Diese WM vor heimischem Publikum und mit den zwei Rekorden war bisher das absolute Highlight für mich“, gerät der 22-Jährige beim Erinnern ins Schwärmen.
Im Männerbereich gab es seither für den Leipziger jedoch keine Möglichkeit, seine Spitzenstellung auf der Bahn unter Beweis zu stellen. Wegen Corona fielen die geplanten wichtigen Herausforderungen für ihn ins Wasser: Eine Deutsche Meisterschaft fand nicht statt, auf die Reise zur EM ins bulgarischen Plowdiw verzichtete der Verband Mitte November aus Risikogründen. Einzig Profi Maximilian Levy, der im Sprint und im Keirin triumphierte, nahm auf eigene Verantwortung teil.
Über zwei Goldmedaillen bei internationalen Titelkämpfen durfte Felix Groß dennoch im Oktober jubeln. Bei der U-23-EM in Italien gelang ihm zudem ein besonderer Coup: Er gewann in der Einzelverfolgung – zum dritten Mal in Folge – und auch im 1000-Meter-Zeitfahren. Dieses „Kunststück“ hatte bis dahin nur ein Athlet bei internationalen Titelkämpfen erreicht: der Amerikaner Taylor Phinney 2009. „Das war schon der Hammer, dass ich das geschafft habe“, meint Felix Groß. Mit dieser Fähigkeit, auch auf der kürzeren Distanz Topzeiten anzubieten, kann er derzeit wie kein anderer den Auswahlvierer als bärenstarker Anfahrer auf Kurs bringen. Diesen Platz hat er sich bereits 2017 als erst 19-Jähriger erkämpft. Damals feierte er bei der EM in Berlin ein überzeugendes Debüt bei den Männern, avancierte seitdem bei allen wichtigen Ereignissen zum Stammakteur. Obwohl es eben in den vergangenen Monaten für das Quartett keine weiteren Bewährungsmöglichkeiten auf der Bahn gab, darf er sich für Olympia einiges ausrechnen. „Meine Chancen stehen sehr gut. Wenn ich weiter gesund und verletzungsfrei bleibe, sollte es mit Tokio klappen. Ich bin voll fokussiert und überzeugt, dass die Spiele stattfinden“, zeigt sich Felix Groß zuversichtlich. Schon mit der Teilnahme würde sich für ihn ein Traum erfüllen, wobei er und seine Gefährten natürlich dann in Japan um bestmögliche Resultate kämpfen. Als die Spiele im vergangenen Frühjahr verschoben wurden, stimmte ihn das zwar im ersten Moment traurig. Aber Motivationsprobleme kamen nicht auf.
Glücklicherweise konnte er einige Rennen auf der Straße absolvieren, die ja generell zum Trainingsprogramm der Ausdauerspezialisten gehören. So trat er auf dem Sachsenring und bei zwei Rundfahrten in Polen in die Pedale, konnte im Nachbarland sogar die Sprint- und Nachwuchswertung gewinnen. Aktuell bis Donnerstag absolviert er im Kreise der Olympiakandidaten einen Lehrgang auf Mallorca. „Die Einreise erfolgte nur mit einem negativen Test, wir zehn Leute haben ein Haus für uns“, berichtet Felix Groß am Telefon von der strikten Einhaltung der Hygieneregeln. Vor allem das Schrubben von Kilometern und das Pauken von Kraft stehen auf dem Programm.
Nach der Rückkehr und einem nur kurzem Durchatmen in der Heimat folgen dann ab Sonntag auf dem überdachten Oval in Frankfurt (Oder) die ersten Bahneinheiten seit Oktober. Wie es mit Wettkämpfen sowie den internen Qualifikationen für Olympia generell weitergeht, ist derzeit noch unklar. Felix Groß will dabei gern zu Ostern wieder das traditionelle Straßenrennen auf dem Sachsenring, das geplant ist, bestreiten. Bei diesem Ereignis freut er sich auch stets auf das Wiedersehen mit Gefährten des RSV Venusberg. Dem Verein gehört er seit neun Jahren an. Zu Klaus Fischer, dem unverwüstlichen Chef und Trainer, gibt es oft Kontakte. Wenn es möglich ist – wie bei der Heim-WM – sind Mitstreiter als Zuschauer dabei und unterstützen ihn. Mit 13 Lenzen wechselte er zum RSV, weil er das Material und die Trikots des Nachwuchsteams von Profi Marcus Burghardt – er begann im Erzgebirgsverein einst mit dem Radsport – cool fand. Der elffache Teilnehmer der Tour de France ist sein Vorbild, an ihm orientiert er sich auch mit Blick auf seine Zukunft. Denn die soll verstärkt auf der Straße liegen. Nach Olympia hofft der Militär-Weltmeister (2018), sich einem Profiteam anschließen zu können. Irgendwann möchte Felix Groß bei der Frankreich-Schleife am Start stehen. Trotzdem, auch auf der Bahn will der ehrgeizige junge Mann um weitere Meriten kämpfen.
Bild:
Felix Groß
Radsportler
FOTO: IMAGO
Bildtext: Felix Groß raste bei der Bahn-WM Ende Februar 2020 in Berlin zu einem neuen deutschen Rekord. FOTO: GRABANX/IMAGO